Ich will mein Leben zurück |
Seit dem schrecklichen Unfall in Hamburg haben wir es alle
geahnt. Nun wird es ernst! Eine von Medien gesteuerte Hetzkampagne, die
ihresgleichen sucht mach ein Leben, wie ich es seit nunmehr fast 10 Jahren
mit meinem Hund lebe, unmöglich. Die Innenminister der Bundesländer tragen einen Wettkampf um
die schärfste, blutigste und somit sinnloseste Hundeverordnung aus, der
Sieger steht noch lange nicht fest. Die Antihundelobby erfährt einen noch
nie dagewesen, von öffentlicher Hand geförderten Auftrieb. Endlos klingelt
mein Telefon, unzählige verängstigte aber auch wütende Anrufer suchen Rat
und Hilfe und so ganz nebenbei, zunächst unbemerkt, heimlich und leise,
geht mein Leben dahin. In den ersten Tagen nach dem Unfall komme ich kaum zur Ruhe,
doch dann wird es richtig ernst. Die ersten Bundesländer stellen ihre
gesetzlichen Maßnahmen gegen gefährliche Hunde vor und was kaum möglich
schien, passiert: Es wird schlimmer und schlimmer und schlimmer.
Menschliche Tragödien spielen sich in meinem direkten Umfeld ab, es wird
über Auswanderung oder zumindest Abwanderung in ein anderes Bundesland
nachgedacht. Job, Familie und sonstige Verpflichtungen müssen
zurückstehen. Plötzlich wird fast alles zur Nebensache, wir feiern unsere
Hochzeit und sind doch nicht so richtig bei der Sache. Unsere
Arbeitsleistung läßt zu wünschen übrig, der Chef entsprechend unzufrieden.
Eine Familienfeier ist kaum zu ertragen, auf die üblichen Fragen nach der
Befindlichkeit antworten wir mit zusammengebissenen Zähnen, schließlich
wollen wir nicht die gesamte Konversation sprengen, weil wir kein anderes
Thema mehr kennen. Auch nah stehende Freunde sind irgendwann die endlosen
Diskussionen leid, es scheint als sei der Horizont existenzgefährdend nah
gerückt. Ein Bier, unbeschwert beim Grillen ist einfach nicht mehr drin,
es wird sich unter Gleichgesinnten zusammengerottet. Da muß man sich nicht
andauernd erklären, eine kurze Pause zum Luft holen. Ich möchte laut schreien: Versteht Ihr denn nicht worum es
hier geht? Meine Zukunft und die der mir anvertrauten Vierbeiner ist
plötzlich ungewiß – mein Leben verabschiedet sich langsam aber sicher von
mir – auf Nimmerwiedersehen. Ich gehöre jetzt zu einer Randgruppe,
kriminell auch noch, habe mich selbst ins Abseits der Gesellschaft
geschossen, doch wodurch? Meine Hunde sind noch niemals unangenehm
aufgefallen, ich gehe arbeiten, auch noch im öffentlichen Dienst, zahle
meine Steuern, bin bis auf ein paar Strafzettel auch noch nicht mit dem
Gesetz in Konflikt geraten, habe ein Patenkind in der Dritten Welt, lebe
so gut ich kann im Einklang mit der Schöpfung und engagiere mich für den
Tierschutz. Mein Leben ist zum Kampf geworden, ich kämpfe täglich,
schreibe Briefe, E-Mails, beantworte Briefe und E-Mails, habe den halben
Tag das Telefon am Ohr, gehe Demonstrieren, sammle Unterschriften und
unterwerfe mich und meine Hunde so ganz nebenbei den nun vorgeschriebenen
Regularien, denn auch ich habe Angst vor dem was noch kommt. Ich
funktioniere, wie man es von mir erwartet, doch so langsam frage ich mich
manchmal woher ich eigentlich die Kraft nehme das alles jetzt schon so
lange durchzuhalten. Was ist nur mit meinem Leben passiert? In Gedanken begleite ich auch andere Hunde, die mir im Lauf
der Zeit ans Herz gewachsen sind. Da ist die taube Pit-Mix-Hündin, ein
Schätzchen vor dem Herrn. Die Nachbarn machen dem jungen Mann das Leben
zur Hölle. Wird er genug Kraft haben um durchzuhalten? Da ist die Am.
Staff. Hündin, die wir im letzten Jahr bei einer amerikanischen Familie
vom Balkon befreiten, dreijährig, mit dem dritten Wurf Welpen. Ein Bild
des Jammers, wochenlang aufgepäppelt haben wir ihr den ersten Wald ihres
Lebens gezeigt. Sie hat ein tolles Zuhause gefunden, doch es bleibt die
dumpfe Frage ob die ältere Witwe, bei der Sie nun lebt so für sie kämpft
wie ich es getan hätte. Ich verbiete mir selbst solche Gedanken, habe
dafür nun wirklich keine Energie übrig, es wird schon irgendwie
werden. Dann gibt es da diese Welpen im Tierheim, in Hessen nicht
mehr zu vermitteln, es wäre wirklich schwachsinnig, völlig unüberlegt,
gerade in dieser Zeit, will ich wirklich ein weiteres Hundeleben lang mit
einem Stigma leben? Als sie bei uns einzieht ist sie 8 Wochen alt, wir
nennen sie Hope, ein Tribut an die Zeit in der wir leben, wir machen uns
selber damit ein bisschen Hoffnung.
Ich schmeiße in einem feierlichen Akt die Maulkörbe weg und
breche zu einem Spaziergang auf. Es ist ein wunderschöner Abend im
Spätsommer 2000. Ich sitze auf einer riesigen Wiese und sehen den Hunden
zu wie sie hinter den Mücken herjagen, Gras fressen und Nachlaufen
spielen. Ringo streckt seinen Bauch in die untergehende Sonne und Hope
fällt welpentypisch ungeschickt über einen Grasbüschel während sie einen
Falter verfolgt. Ein Bussard kreist über mir und ruft seinen Nachwuchs,
ich höre Grillen und die Schafe auf der angrenzenden Wiese.
Und plötzlich, wie aus dem Nichts weiß ich woher meine Kraft
kommt für den täglichen Kampf und wofür ich weitermachen muß : Ich will
mein Leben zurück!! Christiane Genz (Bullterrier-Nothilfe e.V.)
September 2000 |